Dein Hund will Dich ärgern? – Die Wahrheit hinter „absichtlichem“ Ungehorsam

Du stehst an der Wiese, hast sogar Wurst in der Hand und rufst Deinen Hund. Der schaut Dich an, dreht sich um….und geht. Dummerweise in die andere Richtung. Du stehst da, weißt nicht ob Du lachen, weinen oder völlig eskalieren sollst und denkst Dir: „Das macht der doch mit purer Absicht. Mein Hund will mich bewusst ärgern!“

Will er das wirklich? Dich ärgern? 

Der große Mythos: Mein Hund will mich ärgern

Gleich mal die gute Nachricht vorne weg: Hunde sind keine Rachegötter. Sie handeln nicht nach unseren menschlichen Werten wie „Trotz“, „Rache“ oder „Gemeinheit“. Auch wenn’s sich manchmal genau so anfühlt.

Ich geb’s zu. Ich kenne das. Ich bin Hundetrainerin. Und ich denke trotzdem manchmal für einen kurzen Moment: „Willst du mich eigentlich verarschen?!“

Aber das ist kein Trotz oder ein Machtkampf und schon gar kein Rachefeldzug. Hunde reagieren situativ, instinktiv oder so, wie es sich eben für sie lohnt. Denn was sie definitiv sind – ganz große Opportunisten.

Huch. Macht’s das jetzt besser? Opportunismus hat ja schon eine leicht charakterlose Färbung. Na vielleicht wäre es doch netter, wenn sie uns ärgern wollen? Ich für meinen Teil kann mit der Idee, dass meine Hunde auf ihren Vorteil bedacht sind besser leben, als damit, dass sie mich mit purer Absicht und aus Boshaftigkeit  ignorieren. Du auch? 

Die wahren Gründe, warum Hunde nicht gehorchen

Was aussieht, als würden uns Hunde ärgern wollen, ist meist: 

  • Stress und Überforderung
  • Mangelnde Ausbildung und fehlende Verlässlichkeit
    Gelernt ist eben gelernt. Und nicht alles, was Dein Hund gelernt hat, entspricht dem, was Du dachtest, dass Du ihm beibringst. 
  • Ablenkung und Reizüberflutung
  • Eine bessere Alternative – das Mauseloch ist einfach spannender als der Mensch. Kennst Du sicher: Du isst abends auf dem Sofa Chips – obwohl Du Gurke geplant hattest. Ist nicht böse gemeint (den Gurken gegenüber) nur….na ja, leckerer! 

Lohnendes Verhalten bei Hunden und Menschen

Warum es trotzdem so nervt: Unser menschliches Gehirn

Bleiben wir bei dem Rückrufbeispiel. Da stehst Du nun mitten in der Prärie, Dein Hund summt fröhlich vor sich hin und Dir schwillt echt die Halsschlagader. Jep, ich fühl’s.
Aber warum nervt Dich das jetzt eigentlich so? 

Der Attributionsfehler: Unser Hirn liebt Schuldige

Da kommt unser menschliches Gehirn wieder mal zum Vorschein. Menschen haben ein Denkmuster, das nennt sich wissenschaftlich „Attributionsfehler“ oder „vorschnelles Zuschreiben von Absichten“ In meiner Sprache heißt das einfach „Unser Hirn liebt Schuldige“.

Warum macht unser Gehirn das?

  • Es gibt uns Kontrolle zurück („Der Hund will mich ärgern, also kann ich sauer sein“).

  • Es ist einfacher, als sich zu fragen: Vielleicht liegt’s auch an mir?“

  • Es ist schnellerunser Gehirn liebt schnelle Antworten (besonders, wenn wir gestresst sind).

Was in Deinem Kopf passiert, wenn der Hund nicht gehorcht

Wir schreiben anderen Lebewesen (Hunden, Menschen, Autofahrern [MEINE Challenge]  …) gern eine Absicht oder Charaktereigenschaft zu, vor allem, wenn uns ihr Verhalten nervt.

Wir sehen nicht, was sie hindert. Wir sehen nur, dass sie sich gerade blöd verhalten.

Konkret: Wenn Deine Verabredung zu spät kommt, denkst Du: „Unzuverlässig.“ Nicht: „Vielleicht ist die S-Bahn ausgefallen.“ Wenn Dein Hund Dich ignoriert, denkst Du: „Der will mich ärgern.“ Nicht: „Vielleicht ist er überfordert oder falsch trainiert.“ Verständlich. Aber unfair, vor allem dem Hund gegenüber.

Unser Gehirn macht das so oft, weil Gefühle einfach schneller sind als Gedanken. (Falls Du Dich dafür interessierst dann lies gerne diesen Artikel von Fr. Dr. Osterath)

Mein Hund will mich ärgern - Hund macht Blödsinn, Besitzer ist gestresst

Du rufst Deinen Hund – Dein Gehirn schaltet auf Autopilot

Was heißt das jetzt aber konkret an der Wiese mit dem Hund, der Dich gemütlich ignoriert und vielleicht noch sagt: „ja warte kurz, ich komm dann schon. Muss nur noch eben….“

In dieser Situation passiert im Gehirn grob gesagt Folgendes:

  1. Sinnesreiz kommt an → Dein Hund rennt weg

  2. Emotionszentrum springt an → „Alarm! Frust! Wut! Angst! Kontrolle weg!“

  3. Du fühlst zuerst.

  4. Dann versucht Dein Gehirn zu verstehen: „Warte… warum eigentlich?“

Das dauert manchmal nur Millisekunden, aber emotional bist Du da längst „auf 180“. Was für Dich also gerade wie ein Drama wirkt, ist für den Hund einfach nur Mittwoch. 

Die häufigsten Gründe für „absichtliches Fehlverhalten“ 

Schön, dass Du jetzt weißt, was Dein Oberstübchen da gerade mit Dir macht. Bringt Dich aber erst einmal nur bedingt weiter, denn der Fiffi schlendert immer noch über die Wiese und ignoriert Dich gekonnt. 

Warum Hunde Kommandos ignorieren: Die Checkliste

Es gibt zig Gründe, warum der Hund gerade nicht das tut, was Du möchtest:

  • Der Hund hat das Verhalten in der Situation nie richtig gelernt.

  • Die Ablenkung ist zu groß (Stichwort: Reizkontrolle fehlt).

  • Deine Erwartungshaltung ist zu hoch. Es wird vom Hund etwas verlangt, was er gar nicht leisten kann siehe Punkt 1

  • Du bist unsicher, inkonsequent oder unklar.

  • Timing und Körpersprache passen nicht. 

Na sowas. In dieser Aufzählung fehlt ja gänzlich der böse Wille des Hundes. Es dreht sich alles nur im Dich. Sorry, not sorry! Aber auch nicht wirklich schlimm, denn Du tust das alles ja nicht mit Absicht,  genau so wenig wie Dein Hund!

Der häufigste Trainingsfehler: Fehlende Generalisierung

Wenn Du regelmäßig hier bei mir im Blog liest, weißt Du ja, dass ich in meinem Leben schon ganz schön viele Mensch-Hund-Teams begleitet habe. 90% davon machen einen entscheidenden Fehler. 

Ich bin gespannt, ob Du Dich hier wiederfindest:

Du hast das Training Deines Hundes total motiviert angefangen. Bald stellen sich erste Erfolge ein und der Hund setzt sich brav aufs Kommando hin und kommt freudig angesaust, wenn Du ihn ruft. Wow, wie gut sich das anfühlt. Hast Du richtig toll hinbekommen.

Stolz triffst Du Dich mit anderen Hundebesitzern zum Gassiegehen und „Lieselotte“ zieht wie blöd an der Leine. Du findest das jetzt etwas ungehörig und „Lieselotte“ soll jetzt echt mal Sitz machen. „Liese“ hat aber nun gar keinen Sinn für Dich, sondern würde gerne mit den anderen Hunden um die Wette laufen.

Also gut, bevor die „Blamage“ noch größer wird und „Lieschen“ Dich noch weiter aus purer Absicht ärgert, lässt Du sie von der Leine und auf Dein Rufen hin – Du ahnst es schon – kommt sie natürlich nicht. Genervt und wütend fährst Du nach Hause und schwörst Dir, dass Du nie wieder mit solchen Hundegruppen spazieren gehst. 

Du hast da was vergessen – die Generalisierung von Verhalten

Was ist da passiert? Du hast, wie 90% aller Hundehalter, Dinge so semi gut trainiert. Du hast das ein bisschen angefangen und als das einigermaßen klappte war für Dich klar: Jetzt kann Dein Hund das. 

Das stimmt auch. Dein Hund kann das. Zuhause im Wohnzimmer und im Garten. 

Leider hast Du die entscheidenden Schritte aber weggelassen. Verhalten muss generalisiert werden. Wir Hundetrainer schmeißen da gerne mit Zahlen von 3.000 – 5.000 Wiederholungen um uns. Das dient eigentlich „nur“ dazu, zu verdeutlichen, dass ein Hund Dinge nicht nach 3 x Trainieren kann. 

Mein Hund will mich ärgern, Verhalten generalisieren

Wie Hunde lernen: Kontextbezogen in Bildern

Hunde lernen Verhalten immer kontextbezogen in Bildern. Das heißt, der Hund lernt beim Kommando „Platz“ eben, dass er sich im Wohnzimmer auf den Teppich legt. Fehlen das Wohnzimmer und der Teppich, dann macht das Kommando „Platz“ für einen Hund keinen Sinn mehr.

Sprich, Du musst Deinem Hund erlerntes Verhalten überall „neu“ beibringen. Je öfter Du die Situation dabei wechselst und je qualitativer Dein Training ist, desto schneller geht das natürlich im Laufe eines Hundelebens. Und nein, Du musst nicht jede erdenkliche Situation üben, die Euch jemals begegnen könnte. Irgendwann ist ein Verhalten so gut generalisiert, dass es in (fast) jeder Umgebung abrufbar ist.

Ein weiterer, oft gemachter, Trainingsfehler: Ungewollt aufgebaute Verhaltensketten

Manchmal sieht ein Verhalten aus wie Trotz. Aber es ist keine Absicht. 

Es ist vielleicht Frust. Oder Angst. Oder mangelnde Impulskontrolle. Vielleicht auch eine Reaktion auf Deinen Tonfall, Deine Körpersprache, Deine Anspannung. Oder schlicht: eine Verhaltenskette, die Du ungewollt aufgebaut hast.

Beispiel: Wenn Dein Hund gelernt hat: Sitz → dann passiert nichts → dann steh ich wieder auf … Dann ist Aufstehen kein Trotz. Es ist ein logischer nächster Schritt in einer erlernten Reihenfolge. Denn der Hund hat nicht gelernt, dass auf Sitz immer erst ein Auflösekommando kommt, bevor er wieder aufstehen darf.

Wenn Du „Nein“ rufst und Dein Hund dann nochmal extra hochspringt oder bellt, dann ist das vielleicht kein „Ich provozier dich jetzt“, sondern: „Du klingst plötzlich komisch, ich bin verwirrt und brauche Klarheit.“

Die (unbequeme) Wahrheit – Dein Hund zeigt Dir, was er gelernt hat

Gehen wir noch mal zurück auf die Wiese und zu Deinem Dich ignorierenden Hund. 

Bist Du Dir ganz sicher, dass Dein Hund es gelernt hat, in jeder Situation abrufbar zu sein? Egal wie groß die Ablenkung ist, egal wie weit er weg ist, egal ob Du mit der Kekstüte winkst oder nicht? 

Hand aufs Herz! Wie oft hast Du wirklich mit ihm geübt?

Wie oft hast Du erfolgreich mit ihm trainiert, dass er nicht zu einem anderen Menschen oder Hund läuft, sondern auf Deinen Rückruf umdreht und zu Dir kommt? 3 Mal oder 300 Mal? Auf freiem Feld oder auch sonntags Nachmittag im Park bei strahlendem Sonnenschein? 

Zusammengefasst: Dein Hund kann nur zeigen, was Du mit ihm geübt hast. Und zwar genau unter diesen Umständen!

Praktische Lösungen: Was Du tun kannst (außer zu eskalieren)

Frag Dich in Situationen, in denen Dein Hund macht was er will:

  1. Haben wir das ausreichend geübt?
    Kann Dein Hund genau in dieser Situation das verlangte Verhalten abrufen?
    Wenn ja, dann sei verbindlich und verlange genau das.
    Wenn nein, dann bringt es Dich nicht weiter, es einzufordern. Manage diese Situation und übe in Zukunft besser, im Sinne der Generalisation. 
  2. Lohnt es sich für Deinen Hund, Dein Kommando zu befolgen?
    Verhalten, das sich für Hunde lohnt, wiederholen sie gerne. Alles, was sich nicht lohnt, „löschen“ sie aus ihrem Speicher.
    ACHTUNG: Das gilt ganz besonders für Hunde, die in der Pubertät sind!

Belohnungsalternativen für motiviertes Training

Stelle sicher, dass Dein Hund einen lohnenden Grund hat, mit Dir zu kooperieren. Das müssen nicht immer Leckerlies sein.

  • Spiele als Belohnung nutzen
  • Freilauf als Belohnung, z.B. nachdem der Hund per Blickkontakt bei Dir „eingecheckt“ hat
  • Soziale Belohnung durch Lob und Aufmerksamkeit
  • Umweltbelohnungen, d. h. den Hund das machen lassen, was er gerade möchte, nachdem er das Kommando ausgeführt hat

Bist Du hingegen der Meinung, Dein Hund müsse alles nur aus reinem Gehorsam ausführen, ohne dafür gelobt zu werden, dann wird es immer schwierig bleiben! 

5 Sofort-Tipps für besseren Gehorsam

  1. Erkenne den Frust – bei Dir selbst
    Du darfst Dich aufregen. Gefühle sind okay. Du bist kein schlechter Mensch, weil Du Dich kurz unfair behandelt fühlst. Aber Du darfst auch entscheiden, was Du daraus machst. 
  2. Beobachte, was Dein Hund wirklich tut
    Nicht nur das Offensichtliche (er kommt nicht), sondern auch: Wie bewegt er sich? Ist er ansprechbar? Wohin geht seine Aufmerksamkeit? Dein Hund zeigt Dir meist sehr deutlich die Gründe für sein Handeln auf. Du musst diese Zeichen „nur“ für Dich nutzen. 
  3. Stell Dir immer die richtige Frage:
    „Was hat mein Hund in dieser Situation gelernt“. Nicht „was hat er irgendwann mal gehört“.
  4. Achte auf Deine Ausstrahlung
    Hunde sind Meister im Lesen unserer Körpersprache. Gedankenlesen können sie hingegen nicht. 
  5. Belohne gutes Verhalten öfter
    Auch im Alltag, wenn es „nicht drauf ankommt“. Mach Dein Training alltagstauglich. Achte auf freiwilliges gutes Verhalten Deines Hundes. Belohne fair. Und überfordere ihn nicht mit Situationen, auf die er nicht vorbereitet ist.

Fazit: Dein Hund ist einfach nur Hund

Dein Hund arbeitet nicht gegen Dich. Er lebt einfach nur ziemlich konsequent im Hier und Jetzt. Er will Dich nicht ärgern. Er kann’s halt einfach (noch) nicht besser. Oder will’s grad nicht, weil die Welt einfach lohnenswerter ist als Du. 

Wenn Du das Gefühl hast, Dein Hund macht, was er will und will Dich ärgern, dann warte, bis Dein Denkhirn wieder übernimmt und bewerte die Situation mal emotionslos. 

Und hey, wir alle kennen diese Situationen, in denen wir „mit Puls“ an der Wiese stehen und unser Hund uns (mal wieder) ignoriert. Ja, auch ich. 

Ja, manchmal fühlt es sich so an, als ob der Hund Dich ganz bewusst provozieren will. Aber in 99% der Fälle, ist er einfach nur Hund. Und Du einfach nur Mensch. 

Zwei Spezies, die versuchen, miteinander klarzukommen. Manchmal ist das wie bei IKEA: Da stehen Zwei, mit unterschiedlichen Vorstellungen, aber dem selben Ziel. Und ab und zu müssen es dann doch die Schrauben sein, nicht die Kerzen. 

Mein Hund will mich ärgern, Hund macht was er will

Und wenn Dein Hund doch ein Arsch ist? 

Dann war dieser Artikel hier nichts für Dich!
Spaß! Manchmal ist es auch okay das so zu sehen. Wichtig dabei? Seh’s mit Humor – nicht als persönlichen Angriff.

Das ist nicht immer leicht. Aber es ist immer fair. Und genau das verdient Dein Hund und Du übrigens auch.

Brauchst Du Unterstützung im Hundetraining und bist auf der Suche nach einer Hundeschule? Kontaktiere mich gerne, auch für individuelles (Online)Training. 

FAQ

Hund gehorcht nicht

Wenn Dein Hund nur manchmal gehorcht, liegt das meist an unzureichender Generalisierung. Er kann das Kommando nur unter bestimmten Bedingungen ausführen.

Nein! Dominanz ist ein völlig überholtes Konzept. Dein Hund ist einfach noch nicht ausreichend trainiert oder die Situation ist zu ablenkend.

Ja, er schaut Dich an. Aber eher, weil er unsicher ist oder Deine Reaktion abwartet – nicht, weil er Dich provozieren will.

Hunde können lernen, wie sie Einfluss auf uns nehmen – z. B. durch Bellen oder bestimmte Blicke. Aber das ist kein böser Plan, sondern Lernen durch Beobachtung. Hunde beobachten uns 24/7. Sei Dir sicher: Dein Hund kennt Dich besser, als Du dich selbst!. 

Indem Du Missverständnisse früh klärst, Verhalten zuverlässig belohnst – und immer wieder hinterfragst, was Dein Hund gerade gelernt hat.

Es macht Dich handlungsfähig. Statt Dich über Absicht zu ärgern, kannst Du Training ansetzen, das Dein Hund wirklich versteht.

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