Impulskontrolle – richtig wichtig oder überbewertet?

Wenn ich jedes Mal einen Euro bekäme, wenn ich höre „Mein Hund ist Zuhause so toll, aber draußen ignoriert er mich komplett!“, könnte ich meine Hundeschule wahrscheinlich bald wegen Reichtum schließen. Denn wenn ich dann frage, ob der Hund es gelernt hat sich zurückzunehmen und somit über ausreichend Impulskontrolle verfügt, ernte ich ganz oft fragende Blicke. Impulskontrolle? Ja, hat man schon mal gehört. Aber was steckt eigentlich hinter diesem Modewort der Hundeerziehung? Ist Impulskontrolle wirklich der heilige Gral oder vielleicht doch nur ein weiterer Trend, der unseren Hunden mehr schadet als nützt? Zeit, das Ganze einmal unter die Lupe zu nehmen!

Was bedeutet Impulskontrolle überhaupt?

Impulskontrolle bezeichnet die Fähigkeit eines Hundes, nicht sofort auf jeden Reiz zu reagieren. Es geht darum, dass Dein Hund seine natürlichen Reaktionen hemmen kann, wenn die Situation es erfordert. Klassische Beispiele sind:

  • Sich nicht sofort auf Futter zu stürzen, wenn es in Sichtweite ist
  • Nicht jeden Jogger oder Radfahrer zu jagen (jeder 3. tuts auch *lach*)
  • Bei Begegnung mit anderen Hunden nicht direkt hinzurennen
  • Nicht durch jede offene Tür zu stürmen
  • Warten können, bis man ein „Okay“ bekommt

Anders ausgedrückt: Es geht um die Fähigkeit Deines Hundes, sein Gehirn einzuschalten, bevor die Pfoten in Bewegung kommen.

Warum wird Impulskontrolle als wichtig angesehen?

Die Befürworter (zu denen ich mich, Achtung Spoiler, definitiv zähle) argumentieren:

  1. Sicherheit: Ein Hund, der nicht jedem Impuls folgt, riskiert weniger Unfälle – sei es in Verkehrsnähe oder in anderen gefährlichen Situationen.
  2. Soziale Integration: Hunde, die ihre Impulse kontrollieren können, sind leichter in unserer menschlichen Gesellschaft zu integrieren. Sie können mit in Cafés, zu Freunden und auf Reisen genommen werden.
  3. Lebensqualität für alle: Ein Hund mit Impulskontrolle ist entspannter, weil er nicht ständig in einem Zustand der Erregung oder Frustration lebt. Auch Du als Halterin hast weniger Stress.
  4. Grundlage für weitere Erziehung: Viele komplexere Trainingseinheiten bauen auf der Fähigkeit auf, die ersten Impulse zu hemmen und abzuwarten. Bestes Beispiel ist das Laufen an lockerer Leine in allen Lebenslagen. DAS ist Impulskontrolle in seiner höchsten Form. Und der Grund, warum es einer der häufigsten Gründe ist, dass Menschen zu mir ins Training kommen – der Hund zieht seinen Mensch draußen von a nach b. Da kannst Du noch 100 Jahre stehen bleiben, wenn Dein Hund an der Leine zieht, er wird es deswegen nicht lassen. Kann er aber seine Impulse kontrollieren, wird er es auch schaffen an lockerer Leine durch die Welt zu gehen. 

Die andere Seite: „Lasst die Hunde Hunde sein!“

Nun gibt es aber auch Stimmen, die behaupten, dass zu viel Fokus auf Impulskontrolle dem Hund schadet. Ihre Argumente:

  1. Einschränkung natürlicher Verhaltensweisen: Hunde sollten ihre natürlichen Instinkte ausleben dürfen. Zu viel Kontrolle frustriert und unterdrückt sie.
  2. Falscher Fokus: Statt dem Hund ständig zu sagen, was er nicht tun soll, sollten wir uns darauf konzentrieren, was er tun darf.
  3. Angst vor Aversiven: Manchmal wird argumentiert, dass das Training von Impulskontrolle zwangsläufig mit aversiven Methoden verbunden sei – was natürlich Quatsch ist.
  4. „Mein Hund braucht Freiheit“: Die absolute Freiheit des Hundes wird über alles andere gestellt, auch über die Bedürfnisse anderer Lebewesen oder die Sicherheit des Hundes selbst.

Manch einer geht sogar so weit zu behaupten, dass ein Hund, der auf ein „Sitz“ oder „Warte“ reagieren muss, bereits ein unterdrücktes Wesen sei. An dieser Stelle rolle ich persönlich echt mit den Augen und hole tief Luft…

Impulskontrolle vs. Frustrationstoleranz – Nicht dasselbe!

Ein wichtiger Punkt, der oft übersehen wird: Impulskontrolle ist nicht dasselbe wie Frustrationstoleranz, obwohl beide miteinander verbunden sind.

Impulskontrolle bedeutet, einen unmittelbaren Handlungsimpuls zu unterdrücken. Das „Nicht-Sofort-Reagieren“. Dabei ist die Belohnung (in welcher Form auch immer) nachgelagert. Sprich, der Hund bekommt im Nachgang das was er haben möchte. 

Frustrationstoleranz hingegen beschreibt die Fähigkeit, mit der Enttäuschung umzugehen, wenn ein Bedürfnis nicht befriedigt wird.

Ein Beispiel: Wenn Dein Hund vor dem Futternapf sitzt und nicht sofort frisst, weil du es ihm noch nicht erlaubt hast, zeigt er Impulskontrolle. Wenn er akzeptiert, dass er heute nicht mit zum Joggen darf, ohne zu jammern oder destruktives Verhalten zu zeigen, demonstriert er Frustrationstoleranz.

Beide Fähigkeiten sind wichtig, aber sie werden unterschiedlich trainiert. Während Impulskontrolle eher durch klare Regeln und Grenzen gefördert wird, entwickelt sich Frustrationstoleranz durch angemessene Herausforderungen und positive Bewältigungsstrategien.

Meine Sicht: Impulskontrolle als Grundlage für ein entspanntes Hundeleben

Nach über 25 Jahren als Hundetrainerin bin ich zu einer klaren Überzeugung gelangt: Impulskontrolle ist nicht überbewertet, sondern unterschätzt. Sie ist die Grundlage für einen entspannten Hund in unserer reizüberfluteten Welt.

Warum? Weil ein Hund, der nicht auf jeden Reiz reagieren muss, weniger Stress erlebt. Er muss nicht jedem Eichhörnchen hinterherhetzen, bei jedem Klingelton bellen oder bei jeder Hundebegegnung frustriert in die Leine springen. Er kann innehalten, beobachten und dann angemessen reagieren.

Die Behauptung, dass Impulskontrolle den Hund unterdrückt, halte ich für grundlegend falsch. Im Gegenteil: Sie gibt ihm Freiheit. Die Freiheit, mitzukommen statt zuhause zu bleiben. Die Freiheit, ohne Leine zu laufen, weil er zuverlässig abrufbar ist. Die Freiheit, nicht von seinen eigenen Impulsen getrieben zu werden.

Natürlich geht es nicht darum, einen roboterhaften Hund zu kreieren, der keine natürlichen Verhaltensweisen mehr zeigt. Es geht um Balance. Ein gesundes Maß an Impulskontrolle, kombiniert mit ausreichend Gelegenheit zum Hund-Sein.

Die extremen Verfechter des „alles-ist-erlaubt“-Ansatzes vergessen oft, dass Hunde in einer Menschenwelt leben. Eine Welt mit Straßenverkehr, anderen Menschen und Tieren, mit Gesetzen und sozialen Normen. Impulskontrolle bereitet unsere Hunde auf diese Realität vor.

Dein Hund braucht mehr Impulskontrolle? Mein Minikurs kann helfen!

Wenn Du das Gefühl hast, dass Dein Hund in Sachen Impulskontrolle noch Luft nach oben hat, habe ich genau das Richtige für dich: Meinen vierteiligen Präsenzkurs „Meister der Impulse“.

In vier strukturierten Einheiten arbeiten wir an:

  1. Grundlagen der Impulskontrolle: Warte-Signale, Blickkontakt, erste kleine Verzögerungen
  2. Impulskontrolle bei Futter und Spielzeug: Der klassische „Nicht sofort losstürzen“-Ansatz
  3. Impulskontrolle in Bewegung: Bleib ruhig, auch wenn die Welt sich bewegt
  4. Impulskontrolle bei Ablenkung: Der Härtetest mit anderen Hunden und Umweltreizen

Der Kurs findet in Kleingruppen statt, damit ich auf jeden Hund individuell eingehen kann. Die nächsten Termine findest du unter dem Reiter „Gruppen & Termine“ bei den Minikursen. 

Fazit: Qualität statt Quantität

Letztendlich geht es bei der Impulskontrolle nicht um ein „Entweder-Oder“, sondern um das richtige Maß. Nicht zu wenig, nicht zu viel. Kein Hund sollte ein zappelndes Nervenbündel sein, das auf jeden Reiz anspringt, aber auch kein lebloses Wesen, das nie seine natürliche Begeisterung zeigen darf.

Der goldene Mittelweg ist ein Hund, der sich aus sich selber heraus kontrollieren kann, wenn es nötig ist, aber auch weiß, wann er seine Hundenatur ausleben darf. Ein Hund, der in der Lage ist, zwischen verschiedenen Situationen zu unterscheiden und sein Verhalten entsprechend anzupassen.

Und genau das ist mein Ziel im Training: Nicht Unterdrückung, sondern Befähigung. Einen Hund, der die Wahl hat, wie er reagiert, anstatt Sklave seiner Impulse zu sein. Denn wahre Freiheit entsteht durch Selbstkontrolle, nicht durch deren Abwesenheit.

In diesem Sinne: Training macht Spaß, wenn es für beide Seiten bereichernd ist. Und ein bisschen mehr Impulskontrolle schadet keinem Hund – versprochen!