Hundetraining mitten im Leben – so wird der Alltag zur Übungsfläche

Hundetraining braucht Struktur, klare Regeln, einen Plan – ja, auch ich sage das. Denn ohne Plan wird aus Training schnell ein nettes „Hoffen auf bessere Zeiten“. Aber dieser Plan muss nicht aus zehn Excel-Tabellen bestehen (okay, ein oder zwei Tabellen sind tatsächlich hilfreich) und Dein Leben übernehmen. Er sollte Dir einen Rahmen geben – und den Rest macht Ihr mitten im Alltag.

Denn genau da spielt sich das echte Leben ab: Mit Dreck an den Schuhen, einem Kaffee, der längst kalt ist, und einem Hund, der gerade beschlossen hat, dass „Sitz“ heute ein dehnbarer Begriff ist. Und genau dort passiert Training – oder eben nicht. Je nachdem, ob Du es nutzt.

Warum Alltagstraining so wichtig ist

Die Wahrheit, die Dir nicht in jedem YouTube-Tutorial verraten wird: Die wertvollsten Trainingsmomente passieren nicht in isolierten Übungseinheiten, sondern zwischen Tür und Angel. Warum? Weil genau dort die Herausforderungen des echten Lebens auf Euch warten.

Ein Hund, der nur im stillen Wohnzimmer gehorcht, aber bei der kleinsten Ablenkung „auf Durchzug schaltet“, hat kein zuverlässiges Training genossen. Ihr trainiert für die Realität – und die ist selten perfekt organisiert. Denn wo soll Dein Hund denn glänzen? Richtig, mitten im Leben. 

Alltagsmomente als Trainingseinheiten nutzen

Training darf leicht sein – auch wenn’s manchmal chaotisch aussieht. Alltagstraining bedeutet: Ich nutze das, was ohnehin passiert.

Hier sind 10 konkrete Alltagssituationen, die Du ab heute als Mini-Trainingseinheiten nutzen kannst:

  1. Die Türklingel-Chance: Jedes Mal, wenn es klingelt, wird daraus eine „Sitz und Bleib“-Übung, während Du dem Paketboten die Tür öffnest.
  2. Der unangekündigte Rückruf: Rufe Deinen Hund, wenn Du auf dem Spaziergang in Richtung Auto läufst – also in einem Moment, wo die Erfolgswahrscheinlichkeit hoch ist. Mit echter Stimme, nicht mit dem „Trainings-Stimmchen“.
  3. Die Morgenroutine: Während Du Dich anziehst, übt Dein Hund auf seiner Decke zu warten. Jeans, T-Shirt, Zähneputzen – und der Hund bleibt, ohne dass Du „Bleib“ wie ein kaputter Plattenspieler wiederholst.
  4. Die Pfötchen-Prophylaxe: Trainiere das Pfoten-Abtrocknen auch bei trockenem Wetter – denn im strömenden Regen ist selten Zeit für Pädagogik.
  5. Das Supermarkt-Finale: Praktiziere lockeres Mitlaufen über den Supermarktparkplatz. Fünf gute Meter an lockerer Leine sind fünf wertvolle Meter an lockerer Leine und somit  ein guter Trainingserfolg.
  6. Die Einkaufs-Belohnung: Eine kurze, intensive Spielrunde nach dem Wocheneinkauf. Zwei Minuten Auspowern sind besser als 20 Minuten schlechtes Gewissen. Ganz nebenbei kannst Du auch Deinen Ärger über den Typ hinter Dir an der Kasse abbauen, der es mal wieder sehr eilig hatte und Dir in den Nacken geatmet hat. 
  7. Die Müll-Meditation: Ruhiges Warten, wenn Du den Müll rausbringst. Eine perfekte Mini-Übung für kurzes Alleinebleiben.
  8. Die Küchen-Impulskontrolle: Dein Hund muss abwarten, während Du das Abendessen zubereitest – auch wenn es nach Hühnchen duftet.
  9. Die Besuchs-Etikette: Trainiere die Begrüßung von Besuchern ohne Hochspringen, indem Du jedes Mal konsequent bist, wenn jemand zu Besuch kommt.
  10. Die Treppenhaus-Challenge: Im Mehrfamilienhaus? Perfekt! Das Treppenhaus wird zur Übungsfläche für Impulskontrolle und Leinenführigkeit.

Nebengeräusche sind keine Störung – sie sind Teil des Trainings

Ich liebe es, wenn Kunden sagen: „Das hat jetzt nicht gut geklappt, aber wir waren auch im Garten und der Nachbar hat mit der Flex gearbeitet.“ Und ich antworte dann: Perfekt! Besser hätte ich’s nicht inszenieren können. Hier sind wir ebenfalls mitten im Leben, da wo Training am effektivsten stattfindet. 

Die Kunst des Alltagstrainings liegt genau darin: MIT Ablenkungen arbeiten, nicht trotz ihnen.

Was bringt Dir ein Hund, der im stillen Wohnzimmer alles kann, aber bei Gegenwind und Kinderlachen sofort auf Durchzug schaltet? Wenn Dein Hund trotz Nebengeräuschen ansprechbar bleibt, dann läuft das Training erfolgreich. Und wenn nicht – auch gut. Dann hast Du wenigstens ehrliches Feedback, woran Ihr noch arbeiten könnt.

Natürlich können gestellte Übungssituationen nützlich sein, etwa bei Hundebegegnungen, falls Dein Hund damit Schwierigkeiten hat. Aber das ist ehrlich gesagt eher die Ausnahme als die Regel.

So baust Du ein effektives Alltagstraining auf

Um aus gelegentlichen Übungen ein wirksames System zu machen, hier meine bewährten Tipps:

  1. Identifiziere Deine „Hot Spots“: Welche 3-5 Alltagssituationen wiederholen sich täglich und eignen sich für kurze Trainingseinheiten?
  2. Fokussiere Dich auf einen Skill pro Woche: Diese Woche übt Ihr bei jeder Gelegenheit „Warten vor offenen Türen“, nächste Woche konzentriert Ihr Euch auf „Bleib während Telefongesprächen“.
  3. Schaffe Mini-Erfolge: Kurze, erfolgreiche Trainingsmomente sind wertvoller als lange, frustrierende Übungseinheiten.
  4. Führe ein 2-Minuten-Journal: Notiere abends kurz, welche Alltagssituationen Du zum Training genutzt hast und wie es lief. Schon nach einer Woche wirst Du Fortschritte sehen.
  5. Trainiere mit Humor: Nicht jeder Misserfolg muss auf die Goldwaage gelegt werden. Manchmal ist es einfach ein „Shit happens“-Moment.

Training mit Humor – weil es sonst wirklich anstrengend wird

Alltagstraining funktioniert am besten, wenn Du nicht jeden Misserfolg überbewertest. Wenn Dein Hund Dich ignoriert, während Du mit fünf Einkaufstüten jonglierst, ist das kein Weltuntergang. Es ist eine Trainingsmöglichkeit. Oder halt einfach ein „Shit happens“-Moment. Die gibt es auch.

Was hilft: Lachen. Durchatmen. Und dann weitermachen.

Fazit: Training muss nicht glänzen, es muss passen

Willst Du echte Fortschritte? Dann trainiere da, wo Du lebst. Nicht da, wo alles perfekt ist. Hab einen Plan für das große Ganze – und dann nutze den Alltag, um ihn mit Leben zu füllen. Mit echter Beziehung. Mit Wiederholung. Mit Humor.

Denn: Training muss nicht aussehen wie Training. Es muss wirken wie Verbindung. Training ist IMMER!

Lass mir gerne einen Kommentar da, um mich wissen zu lassen, ob dieser Artikel hilfreich für Dich war. 
Erzähl mir auch gerne, wie Du das Training ganz einfach in Deinen Alltag einbaust. Ich freue mich sehr von Dir zu lesen. 

 

Impulskontrolle – richtig wichtig oder überbewertet?

Wenn ich jedes Mal einen Euro bekäme, wenn ich höre „Mein Hund ist Zuhause so toll, aber draußen ignoriert er mich komplett!“, könnte ich meine Hundeschule wahrscheinlich bald wegen Reichtum schließen. Denn wenn ich dann frage, ob der Hund es gelernt hat sich zurückzunehmen und somit über ausreichend Impulskontrolle verfügt, ernte ich ganz oft fragende Blicke. Impulskontrolle? Ja, hat man schon mal gehört. Aber was steckt eigentlich hinter diesem Modewort der Hundeerziehung? Ist Impulskontrolle wirklich der heilige Gral oder vielleicht doch nur ein weiterer Trend, der unseren Hunden mehr schadet als nützt? Zeit, das Ganze einmal unter die Lupe zu nehmen!

Was bedeutet Impulskontrolle überhaupt?

Impulskontrolle bezeichnet die Fähigkeit eines Hundes, nicht sofort auf jeden Reiz zu reagieren. Es geht darum, dass Dein Hund seine natürlichen Reaktionen hemmen kann, wenn die Situation es erfordert. Klassische Beispiele sind:

  • Sich nicht sofort auf Futter zu stürzen, wenn es in Sichtweite ist
  • Nicht jeden Jogger oder Radfahrer zu jagen (jeder 3. tuts auch *lach*)
  • Bei Begegnung mit anderen Hunden nicht direkt hinzurennen
  • Nicht durch jede offene Tür zu stürmen
  • Warten können, bis man ein „Okay“ bekommt

Anders ausgedrückt: Es geht um die Fähigkeit Deines Hundes, sein Gehirn einzuschalten, bevor die Pfoten in Bewegung kommen.

Warum wird Impulskontrolle als wichtig angesehen?

Die Befürworter (zu denen ich mich, Achtung Spoiler, definitiv zähle) argumentieren:

  1. Sicherheit: Ein Hund, der nicht jedem Impuls folgt, riskiert weniger Unfälle – sei es in Verkehrsnähe oder in anderen gefährlichen Situationen.
  2. Soziale Integration: Hunde, die ihre Impulse kontrollieren können, sind leichter in unserer menschlichen Gesellschaft zu integrieren. Sie können mit in Cafés, zu Freunden und auf Reisen genommen werden.
  3. Lebensqualität für alle: Ein Hund mit Impulskontrolle ist entspannter, weil er nicht ständig in einem Zustand der Erregung oder Frustration lebt. Auch Du als Halterin hast weniger Stress.
  4. Grundlage für weitere Erziehung: Viele komplexere Trainingseinheiten bauen auf der Fähigkeit auf, die ersten Impulse zu hemmen und abzuwarten. Bestes Beispiel ist das Laufen an lockerer Leine in allen Lebenslagen. DAS ist Impulskontrolle in seiner höchsten Form. Und der Grund, warum es einer der häufigsten Gründe ist, dass Menschen zu mir ins Training kommen – der Hund zieht seinen Mensch draußen von a nach b. Da kannst Du noch 100 Jahre stehen bleiben, wenn Dein Hund an der Leine zieht, er wird es deswegen nicht lassen. Kann er aber seine Impulse kontrollieren, wird er es auch schaffen an lockerer Leine durch die Welt zu gehen. 

Die andere Seite: „Lasst die Hunde Hunde sein!“

Nun gibt es aber auch Stimmen, die behaupten, dass zu viel Fokus auf Impulskontrolle dem Hund schadet. Ihre Argumente:

  1. Einschränkung natürlicher Verhaltensweisen: Hunde sollten ihre natürlichen Instinkte ausleben dürfen. Zu viel Kontrolle frustriert und unterdrückt sie.
  2. Falscher Fokus: Statt dem Hund ständig zu sagen, was er nicht tun soll, sollten wir uns darauf konzentrieren, was er tun darf.
  3. Angst vor Aversiven: Manchmal wird argumentiert, dass das Training von Impulskontrolle zwangsläufig mit aversiven Methoden verbunden sei – was natürlich Quatsch ist.
  4. „Mein Hund braucht Freiheit“: Die absolute Freiheit des Hundes wird über alles andere gestellt, auch über die Bedürfnisse anderer Lebewesen oder die Sicherheit des Hundes selbst.

Manch einer geht sogar so weit zu behaupten, dass ein Hund, der auf ein „Sitz“ oder „Warte“ reagieren muss, bereits ein unterdrücktes Wesen sei. An dieser Stelle rolle ich persönlich echt mit den Augen und hole tief Luft…

Impulskontrolle vs. Frustrationstoleranz – Nicht dasselbe!

Ein wichtiger Punkt, der oft übersehen wird: Impulskontrolle ist nicht dasselbe wie Frustrationstoleranz, obwohl beide miteinander verbunden sind.

Impulskontrolle bedeutet, einen unmittelbaren Handlungsimpuls zu unterdrücken. Das „Nicht-Sofort-Reagieren“. Dabei ist die Belohnung (in welcher Form auch immer) nachgelagert. Sprich, der Hund bekommt im Nachgang das was er haben möchte. 

Frustrationstoleranz hingegen beschreibt die Fähigkeit, mit der Enttäuschung umzugehen, wenn ein Bedürfnis nicht befriedigt wird.

Ein Beispiel: Wenn Dein Hund vor dem Futternapf sitzt und nicht sofort frisst, weil du es ihm noch nicht erlaubt hast, zeigt er Impulskontrolle. Wenn er akzeptiert, dass er heute nicht mit zum Joggen darf, ohne zu jammern oder destruktives Verhalten zu zeigen, demonstriert er Frustrationstoleranz.

Beide Fähigkeiten sind wichtig, aber sie werden unterschiedlich trainiert. Während Impulskontrolle eher durch klare Regeln und Grenzen gefördert wird, entwickelt sich Frustrationstoleranz durch angemessene Herausforderungen und positive Bewältigungsstrategien.

Meine Sicht: Impulskontrolle als Grundlage für ein entspanntes Hundeleben

Nach über 25 Jahren als Hundetrainerin bin ich zu einer klaren Überzeugung gelangt: Impulskontrolle ist nicht überbewertet, sondern unterschätzt. Sie ist die Grundlage für einen entspannten Hund in unserer reizüberfluteten Welt.

Warum? Weil ein Hund, der nicht auf jeden Reiz reagieren muss, weniger Stress erlebt. Er muss nicht jedem Eichhörnchen hinterherhetzen, bei jedem Klingelton bellen oder bei jeder Hundebegegnung frustriert in die Leine springen. Er kann innehalten, beobachten und dann angemessen reagieren.

Die Behauptung, dass Impulskontrolle den Hund unterdrückt, halte ich für grundlegend falsch. Im Gegenteil: Sie gibt ihm Freiheit. Die Freiheit, mitzukommen statt zuhause zu bleiben. Die Freiheit, ohne Leine zu laufen, weil er zuverlässig abrufbar ist. Die Freiheit, nicht von seinen eigenen Impulsen getrieben zu werden.

Natürlich geht es nicht darum, einen roboterhaften Hund zu kreieren, der keine natürlichen Verhaltensweisen mehr zeigt. Es geht um Balance. Ein gesundes Maß an Impulskontrolle, kombiniert mit ausreichend Gelegenheit zum Hund-Sein.

Die extremen Verfechter des „alles-ist-erlaubt“-Ansatzes vergessen oft, dass Hunde in einer Menschenwelt leben. Eine Welt mit Straßenverkehr, anderen Menschen und Tieren, mit Gesetzen und sozialen Normen. Impulskontrolle bereitet unsere Hunde auf diese Realität vor.

Dein Hund braucht mehr Impulskontrolle? Mein Minikurs kann helfen!

Wenn Du das Gefühl hast, dass Dein Hund in Sachen Impulskontrolle noch Luft nach oben hat, habe ich genau das Richtige für dich: Meinen vierteiligen Präsenzkurs „Meister der Impulse“.

In vier strukturierten Einheiten arbeiten wir an:

  1. Grundlagen der Impulskontrolle: Warte-Signale, Blickkontakt, erste kleine Verzögerungen
  2. Impulskontrolle bei Futter und Spielzeug: Der klassische „Nicht sofort losstürzen“-Ansatz
  3. Impulskontrolle in Bewegung: Bleib ruhig, auch wenn die Welt sich bewegt
  4. Impulskontrolle bei Ablenkung: Der Härtetest mit anderen Hunden und Umweltreizen

Der Kurs findet in Kleingruppen statt, damit ich auf jeden Hund individuell eingehen kann. Die nächsten Termine findest du unter dem Reiter „Gruppen & Termine“ bei den Minikursen. 

Fazit: Qualität statt Quantität

Letztendlich geht es bei der Impulskontrolle nicht um ein „Entweder-Oder“, sondern um das richtige Maß. Nicht zu wenig, nicht zu viel. Kein Hund sollte ein zappelndes Nervenbündel sein, das auf jeden Reiz anspringt, aber auch kein lebloses Wesen, das nie seine natürliche Begeisterung zeigen darf.

Der goldene Mittelweg ist ein Hund, der sich aus sich selber heraus kontrollieren kann, wenn es nötig ist, aber auch weiß, wann er seine Hundenatur ausleben darf. Ein Hund, der in der Lage ist, zwischen verschiedenen Situationen zu unterscheiden und sein Verhalten entsprechend anzupassen.

Und genau das ist mein Ziel im Training: Nicht Unterdrückung, sondern Befähigung. Einen Hund, der die Wahl hat, wie er reagiert, anstatt Sklave seiner Impulse zu sein. Denn wahre Freiheit entsteht durch Selbstkontrolle, nicht durch deren Abwesenheit.

In diesem Sinne: Training macht Spaß, wenn es für beide Seiten bereichernd ist. Und ein bisschen mehr Impulskontrolle schadet keinem Hund – versprochen!